DIGITALE VERWALTUNG – WORAN KRANKT ES?

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„Digitale Verwaltung ist ein Standortfaktor, den Deutschland verspielt, wenn es solche Angebote nicht selbst in hohem Tempo bereitstellt.“


Falls der erste Part des Blogartikel noch nicht gelesen wurde, geht es hier entlang: "Digitale Verwaltung – Wo steht Deutschland?"

„Der deutsche Föderalismus, der Verantwortlichkeiten verschränkt, anstatt sie abzugrenzen, ist besonders schwer zu reformieren.“ (Handelsblatt) Doch wir reden eben nicht seit gestern von einer dringend notwendigen Reform. Und Digitalisierung trat nicht von heute auf morgen in unser aller Leben. Manches braucht Zeit, OK! Aber irgendwann ist die Zeit auch mal abgelaufen. 

Am 1. Oktober 2020 wurde das OZG (Onlinezugangsgesetz) Dashboard des BMI (Bundesministerium des Innern) veröffentlicht. Ich war kurz beeindruckt und dachte, mit meiner Skepsis dann doch völlig falsch gelegen zu haben. 54% der OZG Leistungen seien bereits digitalisiert, sprich 315 Leistungen. Dann klickte ich mich durch die kleinen „i´s“, die hinter jeder Leistung aufgeführt sind. Die Vielzahl der Leistungen befand sich im sogenannten Reifegrad 2. 


Quelle: https://www.onlinezugangsgesetz.de/


Dies bedeutet in der Definition des BMI z.B.: Es wurde ein Onlineantragsgenerator umgesetzt, der beim Ausfüllen des Antrages digital genutzt werden kann. Dieser muss aber nicht digital abgesendet werden, sondern als PDF abgespeichert, ausgedruckt und postalisch an die dafür zuständige Behörde gesendet werden.

Und schon sind wir bei dem Thema der fehlenden profunden Digitalstrategie. Es werden digitale Funktionen (Features), wie Puderzucker über die Waffel gestreut. Aber nicht der gesamte Nutzerzyklus des Bürgers skizziert, um den perfekten Service aufzubauen und effiziente Strukturen zu etablieren. Es geht um Funktionen aber nicht um Lösungswege.
 

Once Only in einem föderalistisch organisierten Land

Eine (ganz leichte) Form des Once-Only-Prinzips findet im Pilotprojekt ELFE einen Versuch. So wurde dies u.a. in Bremen eingeführt. Um die Bürokratiestrapazen bei der Geburt eines Kindes zu minimieren, werden die Formulare für Elterngeld, Kindergeld und die Geburtsanzeige zu einem digitalen Kombi-Antrag zusammengefasst.  Aber: Die Eltern müssen seit X Jahren in Bremen leben, verheiratet sein und das Kind in einem bestimmten Krankenhaus bekommen haben. Von einer länderübergreifenden Funktionalität kann hier wohl nicht die Rede sein.

Die Spannungsfelder zwischen Bund, Ländern und Kommunen treten immer wieder auf. Die Daten liegen verstreut und das Vorhaben, alles zu zentralisieren, klingt nach einem massiven, fast utopischen Aufwand. Warum also nicht die Schnittstelle beim Bürger, sprich dem Nutzer suchen, wie viele Experten empfehlen? Ämter stellen die Schnittstelle bereit und via Web App z.B. wird auf die eigenen Daten zugegriffen und wenn nötig zur Verfügung gestellt. So, wie in Estland schon lange der Fall. 

Doch auch in Deutschland sind Ansätze als kleine hoffnungsvolle Lichtblicke erkennbar. Und dies sogar gesetzlich verankert: durch das „neue“ Bundesmeldegesetz, kann die digitale Meldebescheinigung beantragt werden, so dass diese Daten dem Bürger zur Verfügung stehen. Doch solange das Gerüst Drumherum nicht steht, gelangt man damit leider nicht sehr weit.

Der bürokratisch-demokratische Prozess sieht vor, dass alle Bundesländer mitsprechen müssen. Und so erscheint es einigen Mitwirkenden wichtiger, möglichst lange über das perfekte Format zu diskutieren, als den Fokus auf gute Produktlösungen zu legen.

Unsere Formulare –­ Allmacht und Wahnsinn

Auch das Projekt „X-Datenfeldschema“ zeigt, ähnlich wie die Pilotierung mit ELFE oder dem Reifegrad 2, woran es krankt. Es fehlt das Leitbild, worauf eine stringente Strategie hinzielen könnte. Eine, die Silos aufbricht, richtige Referate und Unternehmen vernetzt, um eine durchgängige Experience überhaupt umsetzen zu können. Stattdessen wird überall ein wenig „digitalisiert“, Prozesse aber nicht zu Ende gedacht.

Mit „X-Datenfeldschema“ werden komplette Antragsstrecken definiert, um u.a. rechtlich sauber nach personenbezogenen Daten abfragen zu können. Für die Vision, dass Anträge einmal auf Bundesebene formuliert werden, um sie dann auf Landes- und nachfolgend auf Kommunalebene nur noch adaptieren zu müssen. Damit Änderungen nur einmal und nicht in allen Anträgen machen zu müssen. Die Idee ist gut, hat aber laut Kritiker bei der Praxisumsetzung einige Stolperfallen.

So findet sich keine kaskadierende Umsetzung, wie z.B. in CSS der Fall, um Änderungen übertragbar zu gestalten. Es weist keine Formularlogik auf, sondern eine reine Visualisierung. Doch Anträge und Formulare werden sehr schnell komplex: Verknüpfte Verbindungen, GEO Daten, Kommunikation zu den Fachverfahren (damit diese es verarbeiten können), Übertragungsstandards etc. Und so ist aktuell tatsächlich am Endpunkt des Geschehens noch Programmierleistung von Nöten.

Und da sind wir nicht einmal bis zu dem Punkt angelangt, an dem Bürger:innen in Berührung kommt. Man traut sich gar nicht mehr von UX Standards zu sprechen, wenn die Basis noch so im Argen liegt.


Fehlen digitale Fachkräfte oder das Vertrauen zu den eigenen Reihen?

Neben fehlenden Prozessen (oder welche, die nicht richtig implementiert werden können, weil Bund, Länder, Kommunen, Verantwortungsbereiche etc. nur diskutieren …) fehlt es dem öffentlichen Sektor empfindlich an Digitalkompetenzen, wie eine Studie von Randstad Deutschland Ende 2019 resümierte. Die digitale Transformation der Verwaltung läuft in Deutschland nur schleppend an – Behörden klagen über Unterlagen auf Papier, veraltete technische Ausstattung und mangelnde Vernetzung untereinander. Hinzu kommt, dass viele öffentliche Stellen in Deutschland massiv an Personalmangel leiden. Nun ist der Öffentliche Dienst für junge Talente weder als Arbeits- noch als Ausbildungsort besonders attraktiv.
Ein Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt!



Digitale Souveränität – Schizophrenie der Datenkontrolle

Allein über dieses Thema würde sich eine ganze Abhandlung lohnen. Der Staat hat Angst vor Cyberangriffen und konzentriert sich daher u.a. auf proprietäre Systeme. Aber – und das muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen – schafft die selbstverständlichste Aufgabe beim Umgang mit Computern nicht: Updates zu machen. Man braucht keine Angst vor Cyberangriffen zu haben. Wer will, kommt auch ohne Angriff rein. Das Ausmaß an Sicherheitslücke kann ich mir nur grob vorstellen und was es an Kosten verursacht und auch noch wird, ebenfalls.

In einem Podcast wurde vor kurzem über das Thema Digitale Souveränität diskutiert. Sie würde salonfähiger, hieß es da und sei mittlerweile überall präsent in der Presse. Für den Bürger fokussiert es sich auf das Thema: Wie behalte ich die Kontrolle über meine Daten. Für den Staat: Thema Cybersicherheit und die eigene IT unter Kontrolle zu halten, um sich gegen ungewollte Angriffe zu schützen.
Für das Funktionieren des Staatsapparats ist dies kein Luxusproblem, sondern essentiell. Digitale Souveränität im „Rathaus“ ist auch ein politisches Thema. Wen lässt man quasi in sein Wohnzimmer? Und was passiert, wenn die geo-politische Lage sich verändert? Russland zu misstrauen ist man gewohnt, doch was machen, wenn plötzlich Trumps auf die Bühne der Macht steigen?

Es ist prekär, je nachdem in welchen politischen Systemen und Staatsfunktionen reingeschaut werden kann. Die Strategie darüber muss ein fließendes Kontinuum sein mit kumulierten Lösungen, die Grauzonenabstufungen beinhalten: von proprietären Systemen, über Open Source Lösungen, open API oder Open Data. Wie kann ich als Regierung digital souverän werden? Es ist ein langer Prozess und auch einer, der permanent stattfinden muss, gerade weil sich die IT-Landschaft immer wieder ändert.

Für proprietäre Systeme landete man in der Vergangenheit schnell bei 2-3 Herstellern, die auch Betriebssysteme, Datenbanken etc. anboten. Viele freie Alternativen, die keine Abhängigkeiten hatten, gab es damals nicht. Dies sieht mittlerweile ganz anders aus. So stellt u.a. Linux eine echte Alternative zu Windows dar. Es ist deutlich benutzerfreundlicher geworden, open-source, ist dank schlanker und Ressourcen-schonender Distributionen selbst – oder gerade – für ältere Systeme geeignet. 

Auch ist Deutschland sicherlich nicht in der besten Verhandlungsposition. Die Forderungen für, z.B. Datenbanken in Bezug auf Datenschutz sind sehr hoch und Anbieter wissen, dass sie da in der besseren Verhandlungsposition sind. 


Veränderte Zeiten, erfordern eine Veränderte Beschaffungslogik

Im Leitfaden "Innovative öffentliche Beschaffung" des BMWi wird der Gedanke ausgesprochen, die geübte Beschaffungslogik im Kopfzu ändern. Eben nicht nur nach Funktionalität zu gehen, sondern Kriterien der digitalen Souveränität in die Beschaffungskriterien mit aufzunehmen. 

Nimmt man nun den Punkt der kaum vorhandenen digitalen Wirtschaft in Deutschland, wäre es für den Staat richtig zu erkennen, wo digitale Souveränität mit Lösungen geschaffen werden müssen, um dann in entsprechende Neufirmierungen zu investieren. Ein neuer Kreislauf von Souveränität würde losgetreten und Innovationen in Deutschland gefördert. 

Doch stattdessen wird man mit Schlagzeilen konfrontiert, dass die Bundesregierung es irgendwie über Jahre überhörte, dass Microsoft für Windows 7 ab dem Jahr 2021 keine Updates mehr zur Verfügung stellt.
Und wirklich oder tatsächlich liest man selbst am 21. Januar 2021 im Handelsblatt, dass noch immer mindestens 33.000 PCs der Bundesregierung kein Update erhalten haben. Die Dunkelziffer sei vermutlich wesentlich höher. Mal abgesehen von der wirklich eklatanten Sicherheitslücke, kostet dies die Regierung mindestens 800.000 €. Wobei die Zahl wohl im Laufe der Zeit noch deutlich ansteigen wird.
Da braucht man sich dann über das Thema Digitale Souveränität auch nicht mehr weiter zu unterhalten.

Es handelt sich hierbei nicht um einen kleinen Lapsus. Der Staat, dem wir Bürger eigentlich vertrauen sollten, der eine Vorreiterrolle inne hat. Dieser Staat begeht einen Fehler, der eigentlich Lieschen Müller 75 Jahre, ohne Computererfahrung, passieren könnte. Aber nicht einem Staatsapparat mit Spezialisten und Beratern.

Wie bereits oben angedeutet, ist es nicht zwingend Windows zu verwenden, es gibt mittlerweile auch einige interessante Alternativen. Eben u.a. die Linux Distributionen, die sich modular je nach Bedarf zusammenstellen lassen. Durch Definition einer zentralisierten Quelle für Updates, von der aus alle betreffende Rechner automatische Updates erfahren, ohne dass der Anwender dies bemerkt. Die zentrale IT überprüft diese auf Sicherheit & Co.

Eine weitere Alternative wäre eigene Cloudlösungen zu etablieren. Software as a Service gennant. Ein Distributionsmodell für Anwendungen über den Webbrowser, sprich ein Teilbereich des Cloud Computing. Wobei man hierbei auf ein weiteres deutsches Problem stößt: das der Netzabdeckung.

Kann Deutschland von Nachbarländern lernen? Was wären mögliche Maßnahmen?
Den dritten Teil dieses Blogartikels findet sich hier: "Digitale Verwaltung – Was können wir lernen?"


Quellen:

  1. https://ec.europa.eu/
  2. https://www.dbb.de/
  3. https://www.iotiq.de/
  4. https://netzpolitik.org/
  5. https://www.bundesregierung.de/
  6. https://www.handelsblatt.com/







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